Stellungnahme KSL Köln: Auswirkungen des RISG auf die Teilhabe behinderter Menschen

Behinderte Menschen, die in hohem Maße auf intensivpflegerische Behandlungspflege zur Beatmung angewiesen sind, sollen durch eine Neuregelung diese Leistungen künftig grundsätzlich nur noch in stationären Pflege- und Wohneinrichtungen bekommen mit der Konsequenz, dass sie aus einer eigenen Wohnung in eine solche Einrichtung ziehen und dort dauerhaft verbleiben müssten.

Stellungnahme des KSL Köln (Langfassung)

Stellunghahme des KSL Köln (Kurzfassung)

Zusammenfassung:

Das KSL Köln setzt sich kritisch mit dem Gesetzentwurf auseinander und lehnt diesen in der vorliegenden Form strikt ab. Maßgeblich für diese Ablehnung sind folgende Gesichtspunkte:

  • Es ist aus Sicht des KSL Köln nicht zu beanstanden, wenn die Bewilligungspraxis dieser Leistungen durch eine Verlagerung der Verordnungsberechtigung auf speziell qualifizierten Ärztinnen überprüft werden soll, um auf die zuletzt steigenden Fallzahlen zu reagieren.
  • Die Begründung der Leistungserbringung in stationären Einrichtungen unter Hinweis auf Qualitätsmängel und Leistungsmissbrauch in der ambulanten Versorgung überzeugt nicht. Derartigen Tendenzen kann durch eine engmaschige ordnungsrechtliche Überprüfung wirksam entgegengetreten werden. Es ist nicht erforderlich, eine ambulante Versorgung in einer eigenen Wohnung faktisch abzuschaffen. Hinzu kommt, dass auch in stationären Einrichtungen erhebliche Qualitätsmängel festzustellen sind, insbesondere durch den Pflegenotstand und unzureichende hygienische Verhältnisse. Gleiches gilt auch für Fälle von Leistungsmissbrauch.
  • Das KSL Köln hat grundsätzlich keine Bedenken gegen das Bestreben, Betroffene wenn möglich von dieser Beatmung zu entwöhnen, sofern berücksichtigt wird, dass bei bestimmten, insbesondere progredienten Erkrankungen, eine solche Entwöhnung nicht möglich ist und dieser Umstand respektiert wird.
  • Die regelhafte Leistungserbringung dieser Beatmungspflege nur in stationären Einrichtungen ist sowohl mit dem grundgesetzlichen Schutz der Menschenwürde als auch mit Art. 19 UN-BRK nicht in Einklang zu bringen. Art. 19 UN-BRK schreibt vor, dass Menschen mit Behinderung das gleiche Recht haben zu entscheiden, wo und mit wem sie leben und dass sie nicht verpflichtet sind, in besonderen Wohnformen zu leben. Wird jemandem in seiner eigenen Wohnung diese Art der Pflege verweigert, wird er in unzulässiger Weise genötigt, in eine stationäre Einrichtung zu ziehen.
  • Das KSL Köln befürchtet, dass Betroffene trotz vorliegender medizinische Indikation auf die Inanspruchnahme dieser Beatmungspflege verzichten werden, um das Leben in einer eigenen Wohnung nicht zu gefährden. Hier wird die Gefahr lebensgefährlicher Situationen durch die nötigende Verweisung auf stationäre Einrichtungen in unzulässiger Weise heraufbeschworen.
  • Der vorgesehene Grundsatz der stationären Leistungserbringung steht in eklatantem Widerspruch zu zahlreichen anderen Sozialleistungen, die von einem Vorrang der ambulanten Hilfe geprägt sind. Dies gilt etwa für die Sozialhilfe oder die Pflegeversicherung.
  • Die Behauptung des Ministeriums, Menschen mit Assistenz, die an der Gesellschaft teilhaben, seien hiervon nicht betroffen, ist sachlich falsch. Im Gesetzentwurf ist lediglich allgemein von den Versicherten die Rede, die regelhaft in die stationäre Wohnform ziehen müssen.
  • Der behauptete Bestandsschutz für Altfälle entpuppt sich bei näherer Betrachtung lediglich als eine dreijährige Übergangszeit. Diese wurde wahrscheinlich eingerichtet, um genügend Zeit für die Schaffung der benötigten stationären Kapazitäten zu erhalten.
  • Zu kritisieren ist auch, dass Kinder bis zum vollendeten 18. Lebensjahr grundsätzlich nicht in eine stationäre Wohnform ziehen müssen, um die Beatmungspflege zu erhalten, mit Eintritt der Volljährigkeit hingegen wird diese Verpflichtung begründet. Der Auszug aus dem Elternhaus ist quasi gleichsetzen mit dem Einzug in das Pflegeheim. Persönliche Lebensziele und berufliche Perspektiven werden damit versperrt.
  • Es ist scharf zu kritisieren, dass Betroffene, die in einer ambulanten Lebensform verbleiben möchten, sich einer umfassenden Zumutbarkeitsprüfung unterziehen müssen. Gelingt der Nachweis der Unzumutbarkeit nicht, bleibt es im Zweifel bei dem Verweis auf die stationäre Einrichtung.
  • Inhalt und Reichweite der UN-BRK werden auch im vorliegenden Fall in nicht akzeptabler Weise ignoriert. Die UN-BRK ist, worauf noch einmal deutlich hingewiesen werden muss, keine hübsche Poesie, sondern in Deutschland geltendes Recht.